Grenzgänger — Ein Kanu-Angel-Abenteuer
Eine Reise vom Rogen Naturreservat in den Femundsmarka Nationalpark
Es ist bereits Mitte Dezember und ich sitze grad an meinem Schreibtisch, als der Postbote etwas durch den Briefschlitz in meiner Tür schiebt. Wenig später halte ich die neue Ausgabe (01/20) der Fisch&Fang in der Hand, etwas überrascht, dass sie so früh ankommt.
Besonders gespannt auf diese Ausgabe war ich, weil darin ein Artikel von mir abgedruckt ist, in dem ich von einer Reise im Juni diesen Jahres berichte, die mich zusammen mit meinem Bruder, Vater und Stiefbruder in die schwedische und norwegische Wildnis geführt hatte.
Da der Artikel allerdings nur von der ersten der insgesamt drei Wochen handelt, möchte ich diese Geschichte hier gern zu Ende erzählen. Sie handelt von überfallartigen Wetterwechseln, blutrünstigen Mücken, traumhaften Seen und Flüssen, großen Salmoniden und Barschen, sowie einer Menge harter Arbeit — die es allerdings Wert war.
Auf ins Abenteuer…
Beginnen möchte ich mit einer kurzen Zusammenfassung der ersten Woche, für alle, die den Artikel in der Fisch&Fang nicht gelesen haben: Wir befinden uns im Norden Mittelschwedens, genauer gesagt der Provinz Härjedalen, als wir Florian Over, selbst begeisterter Angler und Produzent von Angelfilmen, treffen. Florian begleitet uns in der ersten Woche unserer insgesamt dreiwöchigen Tour. Dabei kann er auf Video festhalten, wie wir uns durch das verwirrende Geflecht aus kleineren und mittleren Seen nördlich des großen Rogen Sees bahnen und eine unglaubliche Angelei auf Äschen, Barsche, Forellen und Saiblinge erleben. Gepaart mit der wunderschönen Natur in der Region ist so ein wirklich sehenswerter Film entstanden, den ihr auf der Heft DVD der Januarausgabe, oder im Onlineangebot des Parey Verlags finden könnt.
Als Florian uns nach einer Woche verlässt, stehen wir unmittelbar davor unsere Kanus und das gesamte Gepäck für die drei Wochen in den großen Rogen umzutragen. Mal wieder — denn bereits im soeben hinter uns gelassenen Seen-Geflecht war es schon mehrfach nötig Portagen einzulegen, da nicht immer alle Gewässer ausreichend miteinander verbunden sind, um durchgehend mit dem Kanu zu paddeln. Angesichts der Tatsache, dass wir auf der gesamten Tour keine Möglichkeit haben Vorräte aufzufüllen und entsprechend ausgerüstet unterwegs sind, eine wirklich schweißtreibende Angelegenheit.
Aber nicht nur die erste längere Portage war eine kleine Herausforderung, auch der sich abzeichnende Wetterwechsel sollte eine darstellen. Vor uns lag nun eine relativ lange Etappe mit dem Kanu, um aus dem kleinen Nordarm des Rogens über die norwegische Grenze in den Westen zu gelangen, bevor es dann in den Tagen danach über den Fluss Roa weiter in die Femundsmarka hineingeht.
Während das Wetter in der ersten Woche noch nahezu optimal war, ohne starken Wind, bei relativ angenehmen Temperaturen und fast keinem Niederschlag, blicken wir jetzt in einen wolkenverhangenen Himmel und uns weht ein kräftiger Wind mit starken Böhen aus südwestlicher Richtung um die Nase. Selbst beim Blick auf den geschützten Nordarm des Rogens war klar, dass bei den aktuell auf uns zu rollenden Wellen nicht an ein Weiterpaddeln zu denken ist — Zwangspause — also abwarten, Feuer machen und Tee trinken.
Als der Wind sich am Nachmittag langsam legt brechen wir dann auf, allerdings kommen wir nur bis zur Landspitze die uns zuvor in der Bucht noch Windschutz bot. Dort angekommen sehen wir, dass auf dem offenen Teil des Sees immer noch deutlich zu viel Wellengang ist, um selbst in Ufernähe sicher paddeln zu können. Da der Wind sich aber mit Einbruch der Nacht weiter legen soll entscheiden wir uns, erneut eine Pause einzulegen, bevor wir das nächtliche Windfenster nutzen, um unser nächstes Etappenziel zu erreichen. Nach erneuter Pause und anschließendem Aufbruch befinden wir uns einige Stunden später mitten in unserer Etappe, als wir aus südlicher Richtung ein unheilvolles Geräusch vernehmen. In den am Südufer gelegenen, teils noch schneebedeckten Bergen sehen wir eine riesige Wolkenwand, die sich wie eine Lawine den Berghang hinab schiebt und auf uns zu rast. Obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits nahezu komplett windstill ist, halten wir uns glücklicherweise immer in Ufernähe mit unseren Kanus. So können wir auf die hier in den Bergen schnell auftretenden Wetterwechsel spontan reagieren und sind diesen Launen der Natur nicht auf dem Wasser ausgesetzt. Diese Entscheidung erwies sich als sehr richtig.
Innerhalb von wenigen Minuten wird das Geräusch immer lauter, bis es sich letztendlich wie ein unaufhaltsam anrollender Güterzug anhört, was da auf uns zukommt. Wir schaffen es grad noch ans Ufer, bevor eine dichte Regenfront aus den Bergen uns erwischt und wir uns am schnell angesteuerten Ufer unter unseren Ponchos verkriechen können. Als das Spektakel aus Wind und Regen nach gut einer halben Stunden vorüber gezogen ist, können wir dann endlich unsere Etappe beenden und kommen in einer am Westende des Sees gelegenen Bucht an. An dieser Stelle, die ich bereits aus dem Vorjahr kenne, stehen zwei alte Unterstände für Wanderer bereit, die bei schlechtem Wetter kostenlos genutzt werden können. Erschöpft, aber glücklich, dass wir unser Tagesziel noch erreicht haben, bauen wir unser Nachtlager auf.
Der “Hechtpool”
Obwohl es bereits mitten in der Nacht ist und ich aufgrund der langen Etappe durchaus müde bin, kann ich es mir allerdings nicht verkneifen noch schnell eine Rute aufzubauen und mein Glück auf eine neue Fischart dieses Trips zu versuchen. Aus dem Vorjahr weiß ich, dass ganz in der Nähe unseres Nachtlagers ein kleiner Fluss in den See mündet und genau in der vorgelagerten kleinen Bucht konnte ich im Jahr zuvor auf Anhieb zwei gute Hechte fangen, die alles im Flachwasser vor der kleinen Mündung extrem aggressiv attackierten. Ich nehme mir also meine Hechtrute und bewege mich langsam in Richtung des Ufers neben dem Einlauf. Ich befinde mich sicherlich noch zehn Meter vom Spot entfernt, als ich plötzlich ein lautes Klatschen vernehme und einen großen Schwall am Ufer sehe. Ich pirsche mich weiter an und werfe den am leichten Bleikopf montierten Gummifisch direkt vor das Schilf am anderen Ufer. Die Spannung steigt und nach etwa fünf Metern ist es bereits soweit: Ein kompromissloser Einschlag durchfährt den Blank meiner Rute und der Fisch wälzt sich im extrem flachen Wasser direkt an der Oberfläche. Nach spritzigem Drill kommt eine stattlicher Hecht zum Vorschein, der die Metermarke nur knapp verfehlt, Wahnsinn. Als dann nur zwei Würfe später noch ein stabiler Fisch über 80 Zentimeter folgt, bin ich vollends zufrieden und falle müde in meinen Schlafsack.
Am nächsten Morgen können mein Vater und ich nochmal jeweils einen guten Hecht am selben Spot fangen, bevor wir einmal mehr unsere Sachen packen und aufbrechen. Der jetzt folgende Abschnitt wird uns in den nächsten Tagen den Fluss Roa hinab führen, einen kleinen wilden Fluss an dem wir sicher die ein oder andere Stromschnelle durch Tragen der Ausrüstung vermeiden müssen.
Die Roa
Da die Roa mit ihren vielen angeschlossenen Seen als Nebengewässern das für uns interessanteste Gebiet darstellt, wollen wir den Fluss nicht nur so schnell wie möglich hinter uns lassen, sondern an manchen Stellen auch einen reinen Angeltag ohne Reisen einlegen. Auf dem Weg zum ersten Lagerplatz entlang des Flusses passieren wir die ersten beiden kritischen Stromschnellen, wovon wir an einer mal wieder Umtragen dürfen, aber so langsam sind wir daran ja gewöhnt. Die Hütte dir wir am Ende des Tages dann erreichen stellt eines der absoluten Highlights der Reise für mich dar. Die um 1890 erbaute Hütte, die schon seit einigen Jahrzehnten als offen zugängliche Hütte für Wanderer dient, hat mit ihrer urigen, aber unglaublich gemütlichen Atmosphäre eine unbeschreibliche Aura. Die vielen in das Holz geritzten Inschriften von Reisenden seit Anfang des 20. Jahrhunderts belegen, wie viele Menschen hier wohl schon Unterschlupf gefunden haben.
Auch der Kaminofen machte sich bei den mittlerweile durchgängig einstelligen Temperaturen ziemlich gut. Und wo wir schon bei “ziemlich gut” sind, der kleine See an dem die Hütte liegt ist auch “ziemlich gut”. Bis zu dieser Stelle waren mein Bruder und ich bereits im Vorjahr gereist und wir konnten viele gute Barsche in besagtem See fangen; größtenteils auf Sicht im Flachwasser. Kein Wunder also, dass wir anglerisch wieder mal große Hoffnung in den nächsten Tag haben. Nach einem ausgiebigen Frühstück in der gemütlichen Hütte können wir dann zwar nicht ganz an die Erfolge des Vorjahres anknüpfen, aber dennoch einige gute Barsche fangen — das Abendessen ist gesichert.
Ausgeschlafen und gestärkt geht es am nächsten Morgen weiter flussab gen Femundsee. Wir befahren und umgehen in den nächsten Tagen diverse Stromschnellen, finden weitere Wanderhütten, fangen einige Fische und genießen trotz teils widriger Wetterbedingungen das All Inclusive Paket der norwegischen Natur: Frische Luft, weitgehend unberührte Natur, unendliche Ruhe und diese gefühlt grenzenlose Freiheit.
Äschkalation vom Feinsten!
Auch wenn die aktuell vorherrschende Kaltfront den Fischen etwas auf den Magen schlägt und der in der ersten Woche noch vorhandene Insektenschlupf sich gelegt hat, erleben wir immer wieder Sternstunden. Am Morgen nach einer Nacht in einer der weiteren Wanderhütten entlang der Roa machen sich Robin und mein Vater auf den Weg in einen See, der unmittelbar vor uns an den Fluss angeschlossen ist. Als sie wenige Stunden später wieder zur Hütte kommen tragen sie dieses Leuchten in den Augen, das wohl jeder Angler kennt. “Der Wahnsinn”, platzt es aus Robin heraus und die Beiden präsentieren mir eine kapitale Äsche für das Abendessen, sowie diverse Weitere auf Fotos. Als auch ich mich wenig später auf den Weg in diesen See mache, habe ich lediglich eine 4er Fliegenrute dabei. Eine große Äsche auf die Fliege fehlt mir noch und so versuche ich mein Glück zunächst erfolglos mit der Trockenfliege, bevor ich dann auf kleine Streamer und Nymphen umsteige. Sobald ich die Fliege etwas absinken lasse und den Köder unterhalb der Oberfläche präsentiere läuft es Schlag auf Schlag. Für eine gute Stunde ist nahezu jeder Wurf ein Treffer und beschert mir ein paar gute Barsche und einige Äschen bis zu 54 Zentimetern; Äschkalation pur!
Der Femundsee
Nach etwas mehr als einer Woche erreichen wir den Femundsee in Norwegen. Der zweitgrößte Natursee Norwegens ist ein beliebtes Wanderziel und während der eisfreien Jahreszeit gibt es sogar eine Fähre auf dem See, die Einheimische versorgt, aber auch Wanderer mitnimmt. Als wir bei Sturm an der Anlegestelle der Fähre unweit der Mündung des Roa ankommen, treffen wir in der dort zugänglichen Hütte auf Kjetil, einen äußerst sympathischen norwegischen Wanderer. Die Geschichte die er uns am Abend beim gemütlichen Zusammensein erzählt ruft uns derweil nochmal ins Gedächtnis, wie schnell ein Abenteuer hier draußen selbst im Sommer gefährlich werden kann. Als Kjetil auf seinem Weg nach einer bereits langen Wanderung den Fluss überqueren will, um zu einer der Hütten zu gelangen, in der auch wir zwei Tage zuvor waren, rutscht er auf einem nassen Stein aus und wird mehrere hundert Meter den Fluss hinab gerissen, bevor er sich voll bepackt aus dem nur wenige Grad kalten Wasser retten kann. Da zu diesem Zeitpunkt alle seine Sachen komplett durchnässt sind, vom Schlafsack bis zur letzten Unterhose, entschließt er wieder zum Femundsee zurückzukehren, um in der dort gelegenen Schutzhütte sein Gepäck zu trocknen und wieder auf die Beine zu kommen. In einer gut zehnstündigen Wanderung bei nächtlichen Temperaturen unter sechs Grad erreicht er dann unterkühlt und entkräftet die Hütte. Obwohl dies bereits am Vortag geschah können wir den Schreck in seinen Augen und Erzählungen noch sehen und er war sichtlich erleichtert diese Geschichte überhaupt noch jemandem erzählen zu können.
Da das Wetter und insbesondere der sehr starke Wind auf dem großen Gewässer ein weiterpaddeln auch am folgenden Tag nicht erlaubt, können wir erneut erst abends aufbrechen und lassen es uns eineinhalb Tage in der Hütte mit Kjetil gut gehen. In den vergangenen mehr als zwei Wochen haben wir gelernt sehr gut als Team zu funktionieren und alle Handgriffe sitzen perfekt, weshalb wir die restliche Strecke bis zu unserem Zielort im Norden des Feragen Sees in den letzten drei Tagen problemlos hinter uns bringen und auch von einem kurzzeitigen leichten Schneeschauer nicht aufhalten lassen.
Anglerisch erleben wir leider keine richtigen Highlights mehr auf den letzten Etappen unseres Kanu-Angel-Abenteuers, aber die Motivation, oder eher die Prioritäten waren bei der noch zurückzulegenden Strecke und den jetzt wirklich kalten Temperaturen auch etwas anders, als noch in den ersten beiden Wochen unseres Trips. Als wir nach knapp drei Wochen dann am Nordufer des Feragen ankommen, können wir wohl mit echter Freude und Stolz sagen, ein wahres Abenteuer erlebt zu haben. Erinnerungen fürs Leben, die sicher keiner von uns vergessen wird; auch aufgrund des wirklich sehr gelungenen Films, den Florian produziert hat. Auch an dieser Stelle nochmal: Danke an alle Beteiligten, es war grandios.