Aus dem Leben eines Anglers
Der mit dem Boot tanzt
von Gerhard W.
Besonders bequem war die Rückbank des großen Pick-ups nicht. Zu dritt saßen wir, wie aufgereiht, im Gestühl und blickten beim Vorbeifahren durch die Frontscheibe auf das einmalige Panorama des Skeena River, der sich links neben uns in Richtung Pazifik schlängelte. Das flache Alu Sportboot auf dem Hänger hinter uns, das an und ab das Zugfahrzeug anzuschieben schien, sollte uns den Lachs-Geheimtipp hinaufbringen, der auf dem Landweg nur mühsam zu Fuß zu erreichen war. So jedenfalls hatte Fred, unser Guide, den Fluss beschrieben, den wir heute beangeln wollten. Fred saß am Steuer des 7 Liter Trucks, den obligatorischen Stanton (nein, kein Stetson) Filz in den Nacken geschoben und rezitierte aus seinem reichen Erfahrungsschatz eine jener Geschichten aus Halbwahrheiten und literarischer Erfindungsgabe, für die British Columbia berühmt geworden ist. Selbst wenn man alle Einzelheiten seiner Schilderungen verstanden hatte, war man unschlüssig in der Entscheidung sie zu glauben oder nicht, letztlich konnte man sich dem gut geführten Spannungsbogen und den Bildern vor dem geistigen Auge aber nicht entziehen.
„All out“ hieß es plötzlich. Vier Angler aus Old Germany gehorchten. Man konnte Fred einfach nichts abschlagen. Mit einem Dreh und ohne den Ansatz einer Lenkkorrektur setzte er das Boot über die Slipanlage zu Wasser, vertäute es und stellte das Zugfahrzeug auf dem Parkplatz weiter oben ab. Da standen wir nun mit dem Angelgerät in der Hand, voller Vorfreude auf ein neues Lachsabenteuer mit den mächtigen Königslachsen, die im Juli besonders zahlreich aus dem Pazifik in die Flüsse steigen. Zunächst stellten wir fest, dass es gar nicht so einfach war, in das flache Boot zu kommen, da die Kaimauer wohl eher für größere Fahrzeuge gedacht war. Danach durften wir eine Blick auf den Bootsmotor werfen, einen chromblitzenden Ford V8 mit 400 PS. Solch Ungetüm hatte niemand in diesem kleinen Boot vermutet und Fred musste grinsen, als er die vier fragenden Gesichter sah und grummelte nur, dass so viel Power notwendig wäre um die schmalen Strömungsrinnen des Flusses sicher zu bewältigen.
Wie Recht er hatte, wurde uns später klar.
Die kurze Anfahrt über den Ozean in die Flussmündung hinein, war schnell bewältigt. Die See war glatt wie ein Ententeich und das Boot rauschte mit halber Kraft und dem unnachahmlichen Blubbern des V8, wie aus den besten Mustangzeiten, über das spiegelblanke Wasser. Einige Zeit später waren wir im Fluss und zunächst sah es nach einer eher gemütlichen Flusskreuzfahrt aus. Die erste Herausforderung, die sich uns in den Weg stellte, bestand aus kleineren Baumstämmen mit allerhand Gestrüpp, die sich an einer Engstelle des Flusses auf vielleicht 20 m Breite, beidseitig verkeilt hatten. Das Hindernis ließ gerade noch eine Passage von etwa 4–5 m zwischen den bedrohlichen Palisaden links und rechts frei, durch die das Wasser mit mächtigem Druck gepresst wurde. Wie es aussah, gab es an dieser Stelle auch noch eine Stufung, die durch die starke Strömung entstanden war. Der flehende Blick von Udo, meinem Sitznachbarn aus Rheinland Pfalz, sagte genau das, was ich selbst dachte: „Da kommt kein Boot durch“. Kurz danach, als der V8 zornig aufheulte und der Jetantrieb das Wasser hinter dem Boot in Wallung brachte:
„Fred, Du willst doch nicht…?“
Doch er wollte.
Er schob das Boot mit unwiderstehlicher Kraft in den Strom und wand sich durch die Engstelle, so geschmeidig, als sei sein Boot mit dem Ballast aus fünf Passagieren gelenkig wie eine Robbe, die auf kurze Distanz sowohl Neigung als auch Richtung ändern kann. In der Folge gab es keine Pause zum Verschnaufen. Hindernisse und Flachwasserpassagen wurden mit Tempo bewältigt und wenn es jemand geschafft hätte, uns zu filmen, dann wären Vergleiche zu einer Achterbahnfahrt nicht übertrieben gewesen, so wurden wir gerüttelt und geschüttelt durch schnelle Richtungswechsel und kräftige Beschleunigungsphasen. Das war Adrenalin pur und nichts für schwache Nerven, denn man hatte uns erzählt, dass Fred in der letzten Woche auf gleicher Strecke einen etwa 10 cm dicken Baumstamm erwischt hatte, der durch die niedrige Windschutzscheibe geschossen war und sein Boot beschädigt hatte. Die Aluminiumteile, die Anfang der Woche eingeschweißt worden waren, legten ein deutliches Zeugnis ab.
Schließlich erreichten wir einen größeren Pool in einer breiten Flusspassage von dem Fred meinte, hier würde sich ein Versuch lohnen. Er fuhr das Boot sanft auf den Uferkies und ließ uns aussteigen, bevor er es festmachte. Als wir anfingen unser Angelgerät vorzubereiten, begann es leicht zu nieseln und Fred bemerkte so nebenbei, das wäre Grizzlywetter und füge noch hinzu:
„Wenn Ihr müsst, dann bitte vor und nicht hinter dem Busch. Dahinter könnte der große Braune warten.“ Und weil er den Eindruck hatte, wir nähmen seinen Hinweis nicht ernst genug, ging er 20m flussab, winkte uns herbei und hatte unsere Aufmerksamkeit, als er seinen Unterarm neben einen mächtigen Fußabdruck legte, der im weichen Uferbereich auszumachen war.
Nachdenklich verteilten wir uns am Ufer, nicht ohne eine Blick über die Schulter in das nahe Gebüsch zu werfen, bevor wir unsere Blinker in das smaragdgrüne Wasser des Pools tauchten. Auf Freds Ratschlag hin hatten wir ein grüngefärbtes Eisen gewählt. Einwerfen, langsam kurbeln, bis es im Viertelkreis wieder ans Ufer zurücktreibt. In diesem Rhythmus ging es eine Stunde lang in höchster Anspannung, jeden Moment in der Erwartung des elektrisierenden Augenblicks, den ein Lachsbiss auszulösen vermag. Doch nichts passierte. Die Fische im Pool geizten derweil nicht mit aufreizenden Sprüngen, als wenn sie uns zeigen wollten, wie erfolglos sie unser Tun einschätzten.
In der zweiten Stunde bekam ich ein 60cm kleines Exemplar, einen Jack, an den Haken, verlor ihn aber im Drill, bevor ihm Fred mit dem Kescher zu Leibe rücken konnte. Ansonsten gab es wenig zu berichten, außer, dass Udo, der Pfälzer, seinen grünen Blinker gegen einen roten austauschte. Ich hingegen verlor bei einem kräftigen Auswurf zweite Teile meiner dreiteiligen Lachsrute und musste mühsam das Geschirr wieder an Land bringen, da sich der Blinker häufig auf Grund festsetzte. Gar nicht auszudenken, wenn bei dieser Aktion einer der Lachse gebissen hätte. Nach dem Zusammenfügen der Rutenteile hatte ich erst einmal Lust auf Pause und stellte das Gerät ab. Just in diesem Moment hakte Udo den Fisch des Tages. Sein roter „Phantom“, wie er ihn später taufte, hatte einen der vielen Kings überreden können, und es folgte ein spannender Drill, in dem Udo Sieger blieb. Etwas mehr als 12kg brachte der Lachs auf die Waage. Das war Freds Schätzung, und niemand hätte daran gezweifelt, dass sie zutreffend war.
In der gemeinsamen Mittagspause hatten wir Diskussionsstoff genug, Ideen auch. Leider waren alle folgenden Versuche, zahlreiche Stellungswechsel inbegriffen, nicht von Erfolg gekrönt. Gegen 15 Uhr traten wir die Heimfahrt an, wenig beeindruckt von den zahlreichen „Hotspots“ der Bootfahrkunst, die wir auf der Hinfahrt durchlebt hatten. Interessant wurde es allerdings noch einmal auf der Pazifikpassage, da der Wind aufgefrischt hatte und eine spürbare Dünung vorhanden war. Kein Gewässer für ein Flachwasserboot wie unseres ohne Kiel und sonstige Strukturhilfen. Das letzte Stück surften wir mit 400 PS, Kurs bekannt aber kaum einzuhalten.
Auf der Fahrt zur Lodge lauschten alle einer weiteren Anekdote a la Fred, die vom Driftbootangeln am Kitimat River erzählte, wo seine Gruppe beim Picknick von einem Grizzly überrascht wurde, der mitten durch die erstarrte Anglertruppe lief, um sich einen bereits ausgenommenen Königslachs vom Ufer zu holen.
Um ehrlich zu sein, beim Schreiben dieser Zeilen war ich fast in Versuchung, Freds Story in meine Geschichte einzubauen, konnte mich aber nicht überwinden, den einzige Fang des Tages, Udo´s Lachs, dafür zu opfern.
So besehen beflügeln Mythen der kanadischen Lachsparadiese nicht nur die Phantasie, sondern können auch schnell zu „Wahrheiten“ des Anglerlebens werden.
Schöner Beitrag! Habe Ihn mit Freude gelesen 🙂 Hab momentan großen Spaß an meinem neu entdeckten Hobby 🙂 Liebe Grüße aus dem Hotel im Salzburger Land